Katharina Löwenherz

Yoga und Sonderpädagogik

Autismusspektrum: Eine Welt voller Möglichkeiten

Mangelnder Blickkontakt, Über- oder Unterempfindlichkeiten, scheinbare Interesselosigkeit im Kontakt mit anderen Kindern, fehlende Nachahmung von Mimik und Gestik, ausbleibende Reaktion auf den eigenen Namen, spezielle Interessen und sich wiederholende Verhaltensmuster – all das können Merkmale von Autismus sein.

Autismus – eine besondere Art, die Welt wahrzunehmen

Bei einer oberflächlichen Beobachtung wirken Kinder mit Autismus oft unauffällig und altersentsprechend. Doch gerade das führt häufig dazu, dass frühe Anzeichen übersehen oder nicht ernst genommen werden.

autismusspektrum

Der bekannte Satz „Kennst du eine Person mit Autismus, dann kennst du genau eine Person“ beschreibt treffend, wie individuell sich Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) äußern. Menschen mit Autismus denken anders, lernen anders – und nehmen ihre Umwelt anders wahr. Je früher man diese Besonderheiten erkennt und akzeptiert, desto gezielter kann man Kinder mit ASS in ihrer Entwicklung unterstützen. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Herausforderungen, sondern auch die Stärken in den Blick zu nehmen. Denn viele Autistinnen und Autisten verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten, die gefördert und sinnvoll eingesetzt werden sollten – ganz nach dem Motto: „Ich bin nicht falsch. Ich bin nur anders – und denke anders.“

Autismusspektrum: Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Autistische Menschen sehen oft Details, aber nicht das große Ganze – sie erkennen einzelne Bäume, aber nicht den Wald. Medizinisch betrachtet (laut ICD-11) handelt es sich beim Autismus um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die für Betroffene und Bezugspersonen herausfordernd sein kann und frühzeitig professionelle Unterstützung erfordert. Schon kleine Veränderungen im Alltag können zu Stress oder Überforderung führen. Leider werden Eltern in solchen Fällen oft zu Unrecht für das Verhalten ihrer Kinder verantwortlich gemacht.

Heute ist bekannt: Autismus ist keine Folge von Erziehungsfehlern, sondern eine neurobiologische Besonderheit. Die Sichtweise hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Während früher von einer Behinderung gesprochen wurde, versteht man Autismus heute als breites Spektrum – mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen, die von leichten sozialen Schwierigkeiten bis zu tiefgreifenden Entwicklungsverzögerungen reichen.

Autismusspektrum: eine andere Art der Kommunikation

Kinder mit Autismus treten selten von sich aus mit anderen in Kontakt. Sprache wird meist funktional genutzt – als Mittel zum Zweck, nicht zur sozialen Interaktion. Deshalb ist es wichtig, Kommunikation klar, direkt und eindeutig zu gestalten. Statt „Könntest du morgen bitte unsere Tochter abholen?“ hilft ein Satz wie „Hol morgen bitte unsere Tochter von der Schule ab.“ So wird Missverständnissen vorgebeugt und das Kind kann sich sicherer in Interaktionen bewegen.

Ein Blick in die Geschichte des Autismusspektrums

Der Begriff Autismus stammt vom griechischen Wort autos („selbst“) ab. Er beschreibt die Tendenz zur Selbstbezogenheit, die für viele autistische Menschen typisch ist. Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler prägte 1911 den Begriff, um den Rückzug in die eigene Gedankenwelt zu beschreiben.

Unabhängig voneinander veröffentlichten Leo Kanner (1943, USA) und Hans Asperger (1944, Wien) erste wissenschaftliche Arbeiten zu Kindern mit autistischen Verhaltensweisen.

Kanner sah Autismus als angeborene Besonderheit und beschrieb die „extreme autistic aloneness“ – die tiefe soziale Isolation. Asperger erkannte ähnliche Merkmale, vor allem spezielle Interessen, sprachliche Eigenheiten und den Mangel an sozialem Austausch. Beide legten damit den Grundstein für das heutige Verständnis des Autismusspektrums.

Neurodiversität – Vielfalt statt Störung

Die Soziologin Judy Singer prägte 1999 den Begriff Neurodiversität. Sie beschreibt die Idee, dass neurologische Unterschiede – wie Autismus, ADHS oder Dyslexie – keine „Störungen“ sind, sondern natürliche Varianten menschlicher Gehirnentwicklung. Singer fordert mehr gesellschaftliche Akzeptanz für diese Vielfalt – ähnlich wie bei der Entwicklung der Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen, die bis in die 1980er-Jahre noch als Krankheit galten.

Herausforderungen im Alltag – und Wege zum Verständnis

Autistische Menschen nehmen ihre Umgebung intensiver wahr: grelles Licht, laute Geräusche, Berührungen oder die Flut an sozialen Reizen können schnell überfordern. Fehlt es an Aufklärung und Sensibilität im Umfeld – etwa in Kindergarten, Schule oder am Arbeitsplatz – entstehen Missverständnisse und unnötiger Druck. Kinder werden dann häufig als provokant oder verhaltensauffällig wahrgenommen, obwohl sie schlicht anders auf ihre Umwelt reagieren.

Stattdessen sollten sich Fachkräfte und Eltern fragen:

  • Wie kann das Kind im Alltag Selbstständigkeit erlernen?
  • Wie kann es seine Bedürfnisse ausdrücken?
  • Wie können Reize gefiltert und Emotionen reguliert werden?

Denn Autismus bringt nicht nur Herausforderungen, sondern auch große Stärken mit sich – etwa Liebe zum Detail, logisches Denken, Ordnungssinn oder Inselbegabungen in bestimmten Bereichen. Diese Potenziale gilt es zu fördern.

Erscheinungsformen des Autismusspektrum

Das Autismus-Spektrum umfasst unterschiedliche Formen mit verschiedenen Ausprägungen:

Frühkindlicher Autismus (F84.0)

Typisch sind Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, eingeschränkte Sprache und stereotype Verhaltensweisen, die sich meist vor dem dritten Lebensjahr zeigen.
Viele Kinder zeigen besondere Sensibilitäten – etwa auf Geräusche, Berührungen oder Licht – und können in einzelnen Bereichen außergewöhnlich begabt sein.

Asperger-Syndrom (F84.5)

Menschen mit Asperger-Autismus verfügen über durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz und entwickeln ihre Sprache meist altersgerecht. Auffällig sind jedoch soziale Unsicherheiten, Spezialinteressen und das Bedürfnis nach festen Routinen. Häufig bestehen auch motorische Ungeschicklichkeiten und sensorische Empfindlichkeiten.

Atypischer Autismus (F84.1)

Hier zeigen sich autistische Merkmale, die aber nicht alle diagnostischen Kriterien erfüllen oder erst nach dem dritten Lebensjahr auftreten.

Nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung (F84.9)

Diese Diagnose wird gestellt, wenn zwar Anzeichen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung vorliegen, aber nicht alle Informationen für eine eindeutige Zuordnung vorhanden sind.

Haben Sie Kinder, die professionelle Unterstützung benötigen? Dann nehmen Sie unverbindlich Kontakt zu mir auf. Gerne können wir über Ihre Möglichkeiten sprechen.

Diagnose – Fluch oder Chance?

Viele Eltern fragen sich: „Bekommt mein Kind mit der Diagnose nicht einen Stempel?“
Doch die Diagnose ist kein Etikett, sondern ein Schlüssel – sie öffnet den Zugang zu Förderung, Therapien und Unterstützung. Erst durch ein offizielles Attest können in Kindergarten und Schule zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden. Frühzeitige Diagnostik hilft, Kinder individuell zu fördern und Überforderung zu vermeiden.

Ursachen und Häufigkeit

Autismus hat keine einzelne Ursache. Wissenschaftlich belegt ist, dass genetische Faktoren, biologische Einflüsse vor, während und nach der Geburt sowie Umweltfaktoren zusammenwirken können. Erziehungsfehler oder familiäre Konflikte sind keine Ursache. Vielmehr zeigen Studien, dass strukturelle und funktionelle Besonderheiten im Gehirn eine Rolle spielen – etwa durch Sauerstoffmangel bei der Geburt, Infektionen während der Schwangerschaft oder genetische Veränderungen.

Was tun bei Verdacht auf Autismus?

Wenn Eltern oder pädagogische Fachkräfte über längere Zeit Auffälligkeiten beobachten, sollten sie frühzeitig Fachleute hinzuziehen. Nach einer genauen Diagnostik können individuell passende Therapie- und Förderangebote gewählt werden – etwa Verhaltenstherapie, Psychomotorik, Sprachförderung oder spezielle Frühförderprogramme. Entscheidend ist, dass das Kind in einem strukturierten, verständnisvollen Umfeld aufwachsen kann.

Wenn Sie Interesse an einer Sozialen Kompetenz Gruppe haben, dann kontaktieren Sie mich einfach und unverbindlich.

Fazit

Autismus ist keine Krankheit – sondern eine andere Art, die Welt zu erleben. Autistische Menschen haben ein Recht darauf, in ihrer Einzigartigkeit gesehen, verstanden und unterstützt zu werden. Gesellschaftliche Toleranz und Sensibilität sind der Schlüssel, um die Vielfalt menschlicher Wahrnehmung zu schätzen – und die besonderen Fähigkeiten jedes Einzelnen zu fördern.

Autismus ist nicht das Fehlen von Normalität, sondern eine Facette menschlicher Vielfalt.

Katharina Löwenherz

Yoga und Sonderpädagogik